Montag, 21. September 2015

Die Lange Nacht der Museen im Kunsthaus Dahlem und die Zusammenarbeit mit der Tangente Company Berlin




Es schwebte noch ein sommerliches Gefühl in der Luft in dieser Nacht am 29. August. Besucher schlenderten im Skulpturengarten, manche verweilten auf den roten Liegestühlen und andere studierten aufmerksam bis spät in die Nacht die Werke der Ausstellung „Portrait Berlin“. Es wirkte von außen wie ein gemütliches Beisammensein mitten in der Natur, fast schon wie ein familiäres Gartenfest; die Besucher wurden Teil des großen Ganzen. Als das Abendprogramm nach einer Kuratorenführung nämlich zur Tanzaufführung der Tangente Company überging, gab es keine Bühne, nur den Garten, die Skulpturen und die Besucher, welche die Tänzer geschickt als „Statisten“ ihres Stücks aufgriffen. Die Grenzen zwischen der Kunst und den Menschen, dem Statischen und der Bewegung, verflogen für einen Augenblick.

Die Tänzer hatten uns schon während des Sonderprogramms vor der Eröffnung des Hauses unterstützt. Rückblickend auf die Zusammenarbeit mit der Tangente Company bin ich mit Nadja Raszewski, für die künstlerische Leitung verantwortlich, in Kontakt getreten und sie gebeten, sich, ihre Arbeit und das Stück „Remember Me“, das die Truppe bei uns aufführte, vorzustellen.




Die Tangente Company wurde 2012 unter der künstlerischen Leitung von Nadja Raszewski gegründet. Produktionsort ist die TanzTangente Berlin. Die Company arbeitet auf der Grundlage der Improvisation und nutzt hierfür die unterschiedlichen Bewegungseinflüsse der mitwirkenden Tänzer. Diese gestalten sich genreübergreifend von  zeitgenössischem Tanz, Tanztheater, klassischer Tanz bis hin zu Kampfsport und Hip Hop.  Diese unterschiedlichen Einflüsse bilden viele Möglichkeiten, um eigene choreographische Arbeiten zu verwirklichen.

„Remember Me“ ist ein interdisziplinäres Projekt, welches Musik, Tanz, Sprache und Video-Installationen sowie Artwork miteinander verbindet und im September 2013 an der University of Michigan, Residential College, Premiere hatte. Der Titel „Remember Me“ wurde inspiriert durch Nahum Tates ́s Libretto aus Henry Purcell ́s Oper „Dido und Aeneas“.

Michael Gould, Professor für Percussion an der School of Music der Universität Michigan, Malcom Tulip, Schauspieler, Marion Tränkle, Szenografin, Nadja Raszewski, Choreografin und die Tänzer der Tangente Company Berlin setzten sich musikalisch, sprachlich, medial und tänzerisch mit 15 Gedichten von Ken Mikolowski, Poet und Dichter, auseinander. Die Gedichte kreieren in ihrer Kürze vor allem eine Atmosphäre, ein Bild, das vor dem inneren Auge entsteht, wenn man diese liest oder hört. Themen wie Verlust, Trauer, Erinnerung, Aufschwung und das Sich-Selbst-Wiederfinden werden mit den Gedichten musikalisch wie auch visuell zu einer Performance verwoben.
2010 entstand die Idee zu „Remember Me“ von Michael Gould, in Zusammenarbeit mit Ken Mikolowski, Professor für kreatives Schreiben an der Universität Michigan.
Malcom Tulip und Michael Gould interpretierten und vertonten gemeinsam die Gedichte Ken Mikolowskis. Der musikalischen Interpretation Gould und Tulips ́ folgte drei Jahre später die Idee zu einem Konzert/Performance in Zusammenarbeit mit der Szenographin Marion Tränkle und der Choreographin Nadja Raszewski.

Entstanden ist eine Performance, die alle Kunstsparten miteinander dicht verwebt und dem Zuschauer einen Raum aus Klang und Bild in vielschichtigen Facetten eröffnet.





Amelie Fleury

Mittwoch, 9. September 2015

Interview mit den Neuen Berliner Räumen: ein Rückblick auf das Sonderprogramm

 Kunsthaus Dahlem. Fotografie: Aap Tepper. Courtesy Neue Berliner Räume.

Das Kunsthaus Dahlem hat nun seit fast drei Monaten geöffnet und wir freuen uns über das große Interesse das dem Haus gewidmet wird. Der Weg zur Eröffnung war jedoch kein leichter. Wie man mit der schwierigen Vergangenheit des Hauses umgeht und einen Neuanfang setzt, bleibt eine Frage die diese Hallen erfüllt und mit der man sich ständig neu auseinandersetzt.  Der Eröffnung ging ein Sonderprogramm voraus mit dem Ziel einer Auseinandersetzung mit genau dieser Problematik. Rückblickend auf diese aufregende Zeit vor der offiziellen Eröffnung habe ich ein Interview mit der kuratorischen Initiative Neue Berliner Räume durchgeführt die einen großen Teil des Sonderprogramms mit gestaltet hat. Nun lesen Sie das Gespräch zwischen dem Kunsthaus und den NBR über die Zusammenarbeit und den Neuanfang.




Kunsthaus Dahlem: Neue Berliner Räume ist eine nomadische kuratorische Initiative, könntet ihr das Konzept erklären und euch vorstellen?

NBR: Wir realisieren Ausstellungsprojekte ohne einen festen, permanenten Ausstellungsort. Das Kernteam besteht aus uns Dreien: Manuel Wischnewski, der Neue Berliner Räume 2011 gegründet hat, Valerie Senden, die kurz darauf dazu kam und Sylvia Sadzinski, die im Frühjahr 2012 Teil des Teams wurde. Wir sind für die kuratorischen Ideen und deren Umsetzungen zuständig. Zu einer Art erweiterten Kreis gehören außerdem noch Marie Wocher, die für das konzeptionelle Design verantwortlich ist sowie Benjamin Busch, der regelmäßig unsere Projekte fotografisch dokumentiert. Im Sommer diesen Jahres hat uns außerdem Aap Tepper im Rahmen des Projekts für das Kunsthaus unterstützt, der in Tallinn einen Projektraum organisiert.

Neue Berliner Räume arbeitet meistens ortsspezifisch. Dabei geht es uns u.a. darum, auszutesten, was Raum überhaupt sein kann und wie er vermittelt und wahrgenommen werden kann. Hier spielt nicht nur der Ort eine Rolle, sondern ebenso eine Art immaterieller Raum: Der Raum, der sich zwischen Personen, einem Thema, den künstlerischen Arbeiten und dem Ort auftut. Häufig werden so aus Ausstellungen langfristige Ausstellungsprojekte, die sich nicht selten über mehrere Monate erstrecken und in denen die Ausformulierung dieser immateriellen Räume stattfindet. Dieses Prozesshafte ist daher gleichermaßen ein wichtiger Teil unserer Arbeit.        


Kunsthaus Dahlem: Unter welchen Beweggründen habt ihr euch gegründet?

NBR: Ganz grundsätzlich stand hinter NBR natürlich die Idee unseren Interessen als KuratorInnen und kulturellen ProduzentInnen eine Form zu geben. Mit NBR sind wir zunächst nur unseren eigenen Interessen verpflichtet und es war uns damit in den letzten Jahren immer wieder möglich, bestimmten Fragen nachzugehen, die uns interessiert haben.

Hinter diesen sehr persönlichen Beweggründen steht selbstverständlich aber mehr, wenn man ein Projekt verfolgt, das auch auf Öffentlichkeit ausgelegt ist. Wir fühlen eine besondere Nähe zu Orten, die in irgendeiner Form vor größeren Veränderungen stehen – oder diese gerade durchgemacht haben. Solche Orte in besonderen, transitorischen Momenten mit dem Publikum zu teilen ist einerseits schön, hat natürlich darüber hinaus auch eine politische Komponente in einer Stadt, in der immer mehr Räume kommerzialisiert und im weitesten Sinne auch privatisiert werden; in einer Stadt, die sich seit der Wiedervereinigung immer schneller wandelt. In einem solchen Klima z.B. immer wieder auf das Verschwindende aufmerksam zu machen ist wichtig. Überhaupt die Orte in ihren historischen und gesellschaftspolitischen Kontexten ernst zu nehmen und sie nicht nur als atmosphärische Kulisse für das x-te Pop-Up-Event zu nutzen – auch das ist wichtig. Dafür setzen wir uns mit unserer Arbeit ein. Wir haben das Gefühl, dass man der Stadt damit auch etwas zurückgeben kann, das Gewicht hat.


Kunsthaus Dahlem: Gibt es vergleichbare Initiativen?

NBR: Es gibt sicherlich Initiativen die nomadisch arbeiten in Berlin wie etwa Note On oder General Public in Berlin. In Wien gibt es das museum in progress, die ähnlich arbeiten. Diese Liste könnte man noch ein wenig weiterführen.
Sicherlich hat diese Form von Flexibilität zugenommen in den letzten Jahren in Berlin – das ist nicht zuletzt der immer problematischeren Raumsituation geschuldet. Das gilt für Künstler ebenso wie für Kuratoren und alle anderen kulturellen Produzenten. Oftmals ist das Nomadische daher schon eher einem gewissen Pragmatismus geschuldet oder wird aus der Not heraus als Arbeitsform angenommen. Aber es gibt wenige Initiativen, die das Nomadische wirklich als treibende, aktive Kraft begreifen und versuchen ihr Programm quasi aus dem Nomadischen zu schöpfen. Es ist ja wirklich mehr als ein rein formales Prinzip, nach dem man Ausstellungen einfach an wechselnden Orten präsentiert. Auf Grundlage der wechselnden Orte versuchen wir immer wieder neue Formate und Perspektiven zu finden, neue Herangehensweisen und Sprachen. Die wechselnden Orte also nicht nur als wechselnde Kulissen zu verstehen, sondern sich wirklich auf sie einzulassen: das ist ganz zentral in unserer kuratorischen Praxis. Deshalb sind unsere Projekte auch so unterschiedlich.


Kunsthaus Dahlem:  „Wo der Ort beginnt“ war ein Projekt mit dem Kunsthaus Dahlem, es sollte dem Haus ein Anfang sein und die Phase vor der Eröffnung begleiten. Könntet  ihr die 5 Programmpunkte kurz erläutern?

NBR: Als wir eingeladen wurden, die Eröffnung des Kunsthaus Dahlem im Vorfeld zu begleiten, haben wir uns zunächst sehr ausführlich mit dem Ort beschäftigt. Das ist für uns immer ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Bei der komplexen Geschichte des Hauses bis in die jüngste Vergangenheit hinein war für uns schnell klar, dass wir uns dem Ort nur punktuell und in Form einzelner Versuche nähern wollten. So entstand die Idee, das Haus in gewisser Form Schritt für Schritt zum Publikum zu bringen. Wir haben dann unterschiedliche Künstler dazu eingeladen, sich mit dem Ort auseinanderzusetzen. So sind die sehr ausdifferenzierten Programmpunkte entstanden, die mit einer eher klassischen Ausstellungssituation vor Ort eigentlich nicht mehr viel zu tun hatten.

Im ersten Schritt “Einen Weg markieren” haben wir das Publikum dazu eingeladen, sich dem Ort zunächst über unser digitales Archiv zu nähern. In “Komfortabel, trotz des Komforts” setzt sich die Künstlerin Sonja Hornung in Form einer Postkartenedition mit dem Museum auseinander. “André & Arno” wiederum ist eine Dokumentarperformance von Sonya Schönberger, die sich intensiv mit der Biographie Arno Brekers beschäftigt und auf einem 1979 entstandenen Interview zwischen dem Bildhauer und dem renommierten Journalisten André Müller basiert.
Sonya Schönberger, André & Arno, 2015. Fotografie: Aap Tepper. Courtesy Neue Berliner Räume.

Lukas Töpfer hat mit “Die Zukunft hat Zeit” eine Ausstellung vor Ort ohne Werke und ohne Publikum kuratiert. Eine dazu gehörige Publikation dokumentierte diese Ausstellung und wurde dann im Rahmen des Kulturtags im Juni vor Ort präsentiert. An dem zentralen Abend “Stein auf Stein gelegt” haben wir versucht, die verschiedenen Versuche der unterschiedlichen Künstler zusammenzuführen und ihnen in Form von Spuren noch mal einen Raum vor Ort zu geben. Außerdem gab es einige weitere ausgewählte Arbeiten und Performances sowie einen kuratorischen Spaziergang, mit dem man sich den Ort anhand einer fragmentarischen, speziell für den Abend choreografierten Erzählung erschließen konnte.
Various, Stein auf Stein gelegt, 2015. Fotografie: Studio Busch. Courtesy Neue Berliner Räume.


Kunsthaus Dahlem: Den ersten Programmpunkt „Einen Weg markieren“ fand ich besonders interessant. Wie ist die Idee für ein digitales Archiv entstanden und wie funktionierte dieses Projekt?

NBR: Wir wollten das Haus wie gesagt ganz behutsam öffnen. Daher haben wir uns im ersten Schritt dazu entschlossen, nicht das Publikum an den Ort zu bringen, sondern gewissermaßen den Ort zu den Menschen –  in digitaler Form. Das Haus und seine Geschichte sind sehr komplex und weit verzweigt. Wir sind bereits in der Vorbereitungsphase für das Projekt immer wieder auf Orte und Geschichten gestoßen, die auf die eine oder andere Art mit dem Haus verbunden sind. Ein Ort ist ja nie statisch oder steht nur für sich allein. Diese Verbindungen haben wir mit dem ersten Programmpunkt in den Fokus gerückt. Der erste Beitrag ist somit eine bestimmte Form von Verortung. Wir wollten einen möglichen Weg zeigen, zu dem Haus zu finden – auch von anderen Orten aus. Und aus diesen Paarungen ergeben sich natürlich interessante Perspektiven. So wirkt der Ort neben dem Schwerbelastungskörper in Tempelhof komplett anders, als wenn man ihn in die Nähe des Fridericianums in Kassel rückt. Aber all diese Verbindungen sind möglich.

Daher haben wir dem Publikum Zugang zu einem speziell dafür zusammengestellten digitalen Archiv gegeben – in Form eines Emailaustauschs. Das Publikum konnte sich dafür registrieren und den einzelnen Personen wurden dann über einen Zeitraum von zwei Wochen verschiedene Texte geschickt – kleine lexikalische Einträge mit Querverweisen, die es dann auch ermöglichen sollten, sich weiter in die Geschichte(n) zu vertiefen.


Kunsthaus Dahlem: Der fünfte Programmpunkt hat das Projekt abgeschlossen, könntet ihr die beteiligten Künstler vorstellen?

NBR: Eigentlich ist das Programm noch nicht ganz abgeschlossen. Als ein Teil davon und in Zusammenarbeit mit der Freien Universität befindet sich die Arbeit von Vajiko Chachkhiani noch auf dem Campus in Dahlem. Die Skulptur steht auf dem Sockel, auf dem eine Arbeit von Karl Hartung stand, die jetzt im Kunsthaus zu sehen ist. Hier hat also eine Form des Austausches stattgefunden. Und außerdem wird im Herbst noch eine Videoarbeit von Lynne Marsh im Kunsthaus Dahlem präsentiert werden, die im Rahmen der Zusammenarbeit entstanden ist. Auch die Arbeit von Sonja Hornung befindet sich momentan noch vor Ort. Es bleiben also noch ein paar Spuren, die jetzt außerhalb des eigentlichen Programms im Frühjahr noch für eine Weile ihren Weg gehen.
Sonja Hornung, Komfortabel, trotz des Komforts, 2015. Fotografie: Studio Busch. Courtesy Neue Berliner Räume.
Vajiko Chachkhiani, Many Lives Pass By While Imitating Death, installation view at Freie Universität Berlin, 2015. Fotografie: Studio Busch. Courtesy Neue Berliner Räume.



Kunsthaus Dahlem: Welches Fazit könnt ihr von dieser Erfahrung geben? Was hat euch die Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus gebracht?

NBR: Für uns war die Auseinandersetzung mit dem dichten historischen Gewebe des Ortes extrem spannend, aber auch herausfordernd. Es gab eine Grundfrage für uns: Wie geht man mit so einem Ort um? Und darauf haben wir nach wie vor keine richtige Antwort gefunden. Es fühlt sich aber auch gut und richtig an, etwas ratlos aus dem Projekt herauszugehen. Wir finden es ganz interessant, dass uns mit dem Ort eine gewisse Ambivalenz verbindet. Das hatten wir in der Form bisher noch nie und daher hat das in unserem Archiv sicherlich einen sehr besonderen Platz.

Vielleicht ist die Frage aber auch nicht so sehr, was die Zusammenarbeit uns gebracht hat, sondern vielmehr was sie dem Ort gebracht haben könnte. Und wenn es möglich geworden ist, bestimmte Haltungen und Perspektiven am Ort zuzulassen und ihnen eine Stimme zu geben, die vielleicht ansonsten nicht gehört worden wären, dann sind wir darüber sehr froh.