Donnerstag, 9. Februar 2017

Mitten im Atelier - Ipoustéguy

In den Jahren 1971-72 wurde der große zentrale Raum des ehemaligen Atelierhauses am Käuzchensteig in acht kleinere Atelierräume unterteilt, um an KünstlerInnen vermietet zu werden. In unserer Reihe „Mitten im Atelier“ stellen wir einige dieser KünstlerInnen vor.


„Vergessen Sie nicht, dass Sie auf eigene Gefahr zum Bildhauer werden!“ – sagte der Kunstkritiker Daniel-Henry Kahnweiler zu Ipoustéguy, bevor dieser sich als einer der bedeutendsten europäischen Bildhauer seiner Zeit auszeichnete. Sein Werk umfasst 612 Skulpturen und ca. 3000 Zeichnungen und ist in vielen Ländern präsent, sei es im öffentlichen Raum oder in bekannten Museen. Jedoch wird sein Name in Studien über moderne Kunst kaum erwähnt und sein Werk oft unterschätzt – hier lesen Sie das Porträt eines spannenden Künstlers des letzten Jahrhunderts.

Ipoustéguy wurde 1920 in Dun-sur-Meuse (Frankreich) geboren. Im Gegensatz zu vielen damaligen Künstlern hat er keine Kunsthochschule, sondern ausschließlich 1938 die Abendkurse für Zeichen und Malerei von Robert Lesbounit besucht; danach hat er autodidaktisch gelernt und gearbeitet. Nach seinem Umzug 1949 ins neue Atelier von Choisy-le-Roi widmet er sich der Bildhauerei. Schnell findet er Zugang zur Künstlergruppe „Salon de Mai“ sowie in die Galerie Claude-Bernard, mit der er bis zum Anfang der 1980er Jahre zusammenarbeitet. Ab den 1960iger Jahren etabliert er sich als wichtiger Künstler der Nachkriegsmoderne: Er bekommt eine Reihe von öffentlichen Aufträgen, nimmt 1964 an Veranstaltungen wie der Documenta III oder der Biennale Venedig teil und wird in vielen Museen ausgestellt. Seine Arbeit wird u.a. durch den Bright-Preis 1964, den Grand Prix National des Arts 1977 und seine Mitgliedschaft in der Académie Française gewürdigt. 2001 wird das kulturelle Zentrum Ipoustéguy in Dun-sur-Meuse eröffnet, in dem sich viele seiner Werke befinden. 2003 kehrt er in seine Heimatstadt zurück und stirbt drei Jahre später in Doulcon (Frankreich).

Ipoustéguys Kunst ist keine dekorative, sondern eine komplexe, gewalttätige, gequälte Kunst. Um den Stil des Bildhauers besser zu erfassen, ist seine Reise nach Griechenland 1962 von zentraler Bedeutung: Ab diesem Zeitpunkt stellt er wieder den menschlichen Körper in den Mittelpunkt seines Werkes. Dadurch vernachlässigt er die abstrakte zugunsten einer surrealistischen Prägung, da er sich „wegen [seiner] Leidenschaft für Bilder“ (Ipoustéguy, Jahr unbekannt) mit dem Surrealismus eng verbunden fühlt. Durch die Darstellung von verletzten oder leblosen Körpern stellt der Bildhauer seinen eigenen Schmerz dar; sehr oft ist der Mensch seiner Umwelt bzw. der industrialisierten Gesellschaft untergeordnet und wird vom Künstler mechanisiert. Mit einer großen Vielfalt von Materialen geht der Bildhauer um. Indem er sog. „feste“ Materialen wie Metall dafür benutzt, die Textur von Papier oder gewisse Spannungslinien darzustellen, hinterfragt er die Ideen von Dauerhaftigkeit und Beständigkeit, die eine zentrale Rolle in seiner Kunst spielen. Themen wie Eros und Tod bilden auch einen Schwerpunkt seiner Arbeit.

Ipoustéguys Werk behandelt Fragen, die alle Menschen beschäftigen: Durch seine Monumentalität beruft es sich auf alte Traditionen und Mythen, ist aber auch ein „Appell an das Bewusstsein, die Widersprüche, die Sorgen und die Fehler des modernen Menschen„ (Ipoustéguy, Jahr unbekannt). Skulpturen wie L’homme (1963), Le mangeur de gardiens (1970), Der Mensch baut seine Stadt vom ICC-Platz in Berlin (1979), die vier Statuen des Louis-Pradel-Platzes in Lyon (1982) oder A la santé de la révolution (1999) erweisen sich hierbei als exemplarisch.